Ein Nazi-Roman aus den USA dient als Beweis­mittel im NSU-Prozess. Der Autor ver­steckte einen Mann bei sich, der zur Umge­bung des Ter­ror­trios zählt.

Seltsame Verbindung: Zwischen Beate Zschäpe und einem rassistischen Autor aus den USA.

Selt­same Ver­bin­dung: Zwi­schen Beate Zschäpe und einem ras­sis­ti­schen Autor aus den USA.

von Chris­toph Lemmer

Hat das NSU-Trio seine Serie von zehn Morden und zwei Spreng­stoff­an­schlägen allein geplant und aus­ge­führt oder gab es eine über­ge­ord­nete Struktur mit einem stra­te­gi­schen Plan? Die Ermittler gehen bisher davon aus, dass das Trio die Taten allein beging. Das aber will das Ober­lan­des­ge­richt (OLG) Mün­chen im Pro­zess gegen Beate Zschäpe und vier Mit­an­ge­klagte jetzt offenbar kri­tisch hin­ter­fragen.

Denn das Gericht hat vor der Som­mer­pause ein unge­wöhn­li­ches Beweis­mittel in den NSU-Prozess ein­ge­führt, das ab der nächsten Sit­zung am 4. Sep­tember im Pro­zess erör­tert wird – einen Roman, der auf mehr­fache Weise mit dem NSU ver­knüpft ist. Ver­blüf­fend sind vor allem per­so­nelle Ver­flech­tungen zwi­schen dem Autor und dem NSU-Umfeld, die eine ganz andere Ver­mu­tung nahe­legen könnten: dass näm­lich das Trio in eine weit ver­zweigte, womög­lich inter­na­tio­nale Struktur ein­ge­bunden gewesen sein könnte.

Der Titel des Romans lautet „Die Turner-Tagebücher“. Ver­fasst hat ihn der Gründer der ame­ri­ka­ni­schen Nazi-Organisation „National Alli­ance“ (NA), Wil­liam Pierce. Der Held der Geschichte beschreibt in Ich-Form seinen Kampf gegen das „System“, das von Juden beherrscht sei. Er schließt sich einer kleinen Zelle „ari­scher“ Kämpfer an, die sich nach und nach mit wei­teren Zellen zu einer mäch­tigen Unter­grund­or­ga­ni­sa­tion ver­bindet. Am Ende gewinnt sie ihren „Ras­sen­krieg“ mit einer Serie nuklearer Explo­sionen und der Zer­stö­rung der „Zen­tren des Sys­tems“, New York und Tel Aviv.

In rechts­ex­tremen Kreisen in Ame­rika und Europa gilt das Werk als Kult. Schon mehr­fach soll es Ter­ro­risten zu ihren Taten inspi­riert haben, etwa den ame­ri­ka­ni­schen Ras­sen­fa­na­tiker Timothy McVeigh, der 1995 ein Regie­rungs­ge­bäude in Okla­homa in die Luft sprengte und dabei 168 Men­schen tötete.
Keine Blau­pause für die NSU-Bande

Auch beim „Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grund“ um Beate Zschäpe sieht das Bun­des­kri­mi­nalamt „gewisse Par­al­lelen“ zu den „Turner-Tagebüchern“, wie es in einer BKA-Analyse heißt. Dazu gehöre das Prinzip des „füh­rer­losen Wider­stands“, die Geld­be­schaf­fung durch Bank­über­fälle und die auch im Roman geschil­derte will­kür­liche Ermor­dung von Imbiss­be­trei­bern, im Roman als „Ori­en­talen mit dunklen, gekräu­selten Haaren“ beschrieben. Außerdem seien deut­sche Über­set­zungen auf den Com­pu­ter­fest­platten der beiden mit­an­ge­klagten NSU-Helfer Ralf Wohl­leben und André E. gefunden worden.

Als „Blau­pause“ habe der Roman den­noch nicht gedient, heißt es in dem BKA-Papier, weil beim NSU die „Ein­bet­tung in eine grö­ßere Gesamt­struktur“ fehle, die es aber im Roman gebe. Aller­dings haben sich die BKA-Ermittler ihrem Bericht zufolge allein mit der Roman­hand­lung beschäf­tigt, die per­sön­li­chen Kon­takte zwi­schen US-Autor Pierce und dem NSU-Umfeld aber außer Acht gelassen.

Der Neonazi Hendrik Möbus.

Der Neo­nazi Hen­drik Möbus.

Pierce hatte einem aus Deutsch­land geflo­henen Neo­nazi vor­über­ge­hend Unter­schlupf gewährt. Dieser Hen­drik Möbus stammt wie das mut­maß­liche NSU-Trio aus Thü­ringen, aller­dings nicht aus Jena, son­dern Son­ders­hausen. Als Jugend­li­cher grün­dete er eine Satanisten-Band. Mit 17 Jahren ermor­dete er mit zwei Kame­raden den 15-jährigen Sandro B. Die Tat machte als „Satans­mord von Son­ders­hausen“ Schlag­zeilen. Möbus wurde zu acht Jahren Jugend­strafe ver­ur­teilt. 1998 – dem Jahr als Uwe Mundlos, Uwe Böhn­hardt und Zschäpe in den Unter­grund gingen – kam er nach zwei Drit­teln der Haft­zeit unter Bewäh­rungs­auf­lagen wieder frei.

Erfolg­rei­cher Nazimusik-Vertrieb

Zurück in Frei­heit grün­dete er einen Verein „Deutsch-Heidnische Front“ und koope­rierte mit dem Neonazi-Netzwerk „Thü­rin­gi­scher Hei­mat­schutz“, wie es in einem Ver­merk der Thü­ringer Son­der­kom­mis­sion „Trio“ heißt. Dem „Thü­ringer Hei­mat­schutz“ gehörten auch Zschäpe, Mundlos und Böhn­hardt an. Bei einem Kon­zert seiner Band zeigte Möbus den Hitler-Gruß und rief „Sieg Heil“.

Seine poli­ti­schen Ansichten beschrieb er im Inter­view mit einem US-Journalisten für das Buch „Lord of Chaos“ so: „Wir glauben, dass Natio­nal­so­zia­lismus die per­fek­teste Syn­these ist aus luzi­fe­ria­ni­schem Macht­willen und neo-heidnischen Prin­zi­pien.“ Sein Mord­opfer Sandro B. schmähte er als „linke Schwuchtel“ und erklärte: „Am 29. April 1993 wollten wir das Sandro-Problem erle­digen – und das taten wir.“

Mit seinen Akti­vi­täten ver­stieß Möbus gegen die Bewäh­rungs­auf­lagen. Wegen Ver­un­glimp­fung Ver­stor­bener und Ver­wen­dung ver­fas­sungs­feind­li­cher Sym­bole wurde er in zwei Gerichts­ver­fahren zusätz­lich ver­ur­teilt. Vor der Fest­nahme floh er in die USA. Ein Ziel­fahnder des Thü­rin­gi­schen Lan­des­kri­mi­nal­amts spürte ihn aber im US-Bundesstaat West Vir­ginia auf: auf dem Anwesen von Wil­liam Pierce.

Für den baute Möbus den Ver­trieb rechts­ex­tremer Musik auf. Allein die Sparten „Hate­core“ und „NSBM“ (National Socia­list Black Metal) sollen Mil­lio­nen­um­sätze erzielt haben, schätzt die ame­ri­ka­ni­sche „Anti Defa­ma­tion League“.
Geschäfte mit Zschäpes Cousin

Im August 2000 ver­haf­teten US-Marshalls Möbus auf Bitten der Thü­ringer Ermittler und steckten ihn in Abschie­be­haft. Unver­züg­lich ent­fachten Pierce und seine „National Alli­ance“ eine Kam­pagne unter dem Motto „Free Hen­drik Möbus“. In Unter­grund­zeit­schriften erschienen Spen­den­auf­rufe, auch in deut­schen Fan­zines aus dem unmit­tel­baren NSU-Umfeld. Möbus bean­tragte Asyl in den USA.

Im Februar 2001 flog der Anführer des „Thü­ringer Hei­mat­schutzes“, Tino Brandt, zu Möbus‘ Unter­stüt­zung nach Ame­rika. Die Reise finan­zierte nach Erkenntnis des Thü­ringer Ver­fas­sungs­schutzes die „National Alli­ance“ – ein Ver­merk dar­über findet sich in den Pro­zess­akten. Den Kon­takt zwi­schen Brandt und Pierce soll ein füh­rendes Mit­glied der säch­si­schen „Hammerskin“-Gruppe ver­mit­telt haben, das sich bereits in den USA auf­hielt.

Offen ist, ob der Ver­fas­sungs­schutz diese Infor­ma­tion von Brandt selber hat, der einer seiner wich­tigsten V-Leute in der Szene war. Die „Ham­mer­skins“, eine mili­tante Orga­ni­sa­tion ame­ri­ka­ni­scher Neo­nazis mit Nie­der­las­sungen in meh­reren euro­päi­schen Län­dern, waren im NSU-Prozess schon mehr­fach als mög­liche Helfer-Struktur ins Visier geraten.

Im Juli 2001 wurde Möbus nach Deutsch­land abge­schoben und erneut ver­ur­teilt. 2007 hatte er seine Strafen abge­sessen. Inzwi­schen lebt er in Berlin und betreibt gemeinsam mit einem Kom­pa­gnon einen Inter­net­handel mit dem Namen „Mer­chant of Death“ (Händler des Todes). Dieser Kom­pa­gnon war bis vor kurzem der Facebook-Freund eines Cou­sins von Beate Zschäpe. Als Zeuge im NSU-Prozess räumte der Cousin das wider­willig und erst auf Vor­halt eines Fotos ein.

Zeichnet sich hier eine „grö­ßere Gesamt­struktur“ ab, die das BKA in seiner Ana­lyse der „Turner-Tagebücher“ noch ver­misste? Eine Spre­cherin des Gerichts sagt: „Der Senat ist an die Ana­lyse nicht gebunden und muss sich ein eigenes Bild machen.“

taz.de, 29. August 2014

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